Folgt auf lässig auch fahrlässig?

Immer wieder wird der Umgang insbesondere Jugendlicher mit den neuen Medien thematisiert und dabei kritisiert, wie leichtfertig sie dort ihre Daten preisgeben. Die Frage ist, ob diese Kritik berechtigt ist oder ob hier ein Paradigmenwechsel stattfindet, der bei der älteren Generation noch nicht richtig angekommen ist.

Alte Erfahrungen

Der Umgang mit persönlichen Daten ist bereits im nichtdigitalen Zeitalter ein heikles Thema gewesen. Die Herausgabe von Stammdaten wie Adressen und Telefonnummern machte man schon immer ungern, da sie einen direkten Zugriff auf das eigene Lebensumfeld ermöglichte. Selbst allgemeine Erhebungen wie die Volkszählung von 1987 wurden von weiten Bevölkerungsteilen kritisch gesehen. Erst recht war man vorsichtig mit persönlichen Daten und Erzählungen, da sie direkten Einfluss auf die soziale Stellung haben. Klatsch und Tratsch wurde zwar von jeher gerne betrieben, doch wollte niemand in Zentrum solcher Geschichten stehen. Geld und Einkommen sind auch heute noch Themen, die man selbst mit engen Freunden ungerne bespricht.

Allerdings war früher die soziale Welt überschaubarer. Das liegt zum einen an der immer noch vorherrschenden Konvention, die einen Kennenlernprozeß als Legitimation sozialen Miteinanders voraussetzt. Zum anderen waren die Kommunikationsformen im Wesentlichen auf persönliche Begegnungen beschränkt, denn Briefe und Telefone waren ein eher seltenes Mittel für Fremde um Persönliches auszutauschen.

Neue Erfahrungen

Für die jüngere Generation stehen jedoch ganz andere Kommunikationsmittel und Medien zur Verfügung. Die Berichte schon in den klassischen Medien sind wesentlich schnelllebiger und zugänglicher als in früheren Zeiten. Zudem steht mit dem Internet ein neues Medium zur Verfügung, das beliebige Informationen bereitstellt und das quasi zeitnah. Mit Mobiltelefonen ist nicht nur das neue Medium Internet ständig erreichbar, sondern auch der Mobiltelefonbesitzer und sein soziales Umfeld. Würden diese Medien mit der gleichen Häufigkeit benutzt, wie die Medien in den Achtziger Jahren, wären sie kaum wirtschaftlich zu betreiben. Die neuen Medien haben eine ganz neue Kommunikationsform ermöglicht und die Gesellschaft hat diese Kommunikationsmittel gerne angenommen.

Chancen

Die neuen Kommunikationsmittel erlauben einen freien Zugang zu Informationen und ermöglichen es außerdem jedem, seine eigene Meinung einem breiten Publikum mitzuteilen. Jeder einzelne wird dadurch mündiger. Die Schranken für soziale Kontakte sind zugleich deutlich niedriger geworden und es ist leicht möglich, mit Leuten in großen Entfernungen Kontakt aufzunehmen. Auch die Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Schichten ist durchlässiger geworden.

Darüber hinaus bieten die sozialen Netzwerke die Möglichkeit, definierte und sichtbare Kontaktnetze aufzubauen, die nicht nur miteinander kommunizieren, sondern sich im Zweifelsfall auch gegenseitig unterstützen können. Hier hängen die Möglichkeiten lediglich von der Hilfsbereitschaft und dem Vertrauen ab, die die einzelnen Teilnehmer einander zu geben bereit sind. Im Beispiel der Solidaritätswellen von Abmahnungen gegen private Onlineanbieter zeigt sich, wie diese Unterstützung konkret und tatsächlich funktioniert und die Teilnehmer der Netzgemeinde schützen kann.

Trotz der Virtualität baut das soziale Netz zum großen Teil auf Sympatie und Vertrautheit. Einen Blogger oder Chatpartner kann man auch anhand dessen einschätzen, was er schreibt und muss ihn dazu nicht notwendig persönlich getroffen haben, obwohl das immer noch die beste Methode ist, einen Menschen kennenzulernen. Wie im realen Leben setzt auch die virtuelle Freundschaft voraus, dass man etwas von sich preis gibt, andernfalls bleibt es eine anonyme Beziehung. Wenn dieses Vertrauen in das eigene Netz groß genug ist, gibt man zwar Großteile seine Privatshäre auf und wird zu einem Teil gläsern, erhält jedoch im Gegenzug eine globale und offene Netzgemeinde, deren Teil man ist. Das Preisgeben von persönlichen Informationen ist die Voraussetzung für Vertrauen. Das was man bislang nur mit wenigen engen Freunden erfahren konnte ist nun weltweit möglich. Ein solches gläsernes weltweites soziales Netz könnte am Ende in der Lage sein, durch seine innere Offenheit und Unterstützung die Angriffspunkte, die es andererseits bietet mehr als wett zu machen und als globales Miteinander eine neue gesellschaftliche Form zu begründen.

Risiken

Die meisten Risiken der neuen Medien basieren lediglich auf den Risiken der Kommunikation an sich. Die Gefahr sich selbst zu diskreditieren, jemanden zu verbal zu verletzen oder gar mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten ist durch die Kommunikation an sich gegeben und ist beim realen Reden genauso real wie im Brief, am Telefon oder im Internet. Insofern kann hier an den neuen Medien keine Kritik geübt werden, genauso wie die ständig wiederholte Phrase, das Internet wäre ein rechtsfreier Raum, unsinnig ist.

Dennoch unterscheidet sich gerade das Internet in einigen Punkten deutlich von den klassischen Kommunikationsformen. Das birgt Risiken, die bekannt sind, aber weithin von den Internetteilnehmern nicht richtig eingeschätzt werden. Es ist jedoch wichtig diese nicht nur im Wortlaut zu kennen, sondern in ihrer Tragweite zu erkennen, ob man diese tatsächlich eingehen will und in wie weit die oben genannten Chancen das Risiko rechtfertigen.

Das erste Problem des Internets ist die Dauerhaftigkeit von Informationen. Einmal dorthin gelangte Informationen sind kaum mehr zurückzuholen. In der Praxis werden zwar alte Informationen schwer auffindbar, aber mit etwas Kenntnis und Mühe ist es für Laien fast immer möglich, solche Informationen wieder auszugraben. Profis haben darüber hinaus weitere Kenntnisse und Mittel, die über den Laienzugang hinausgehen. Das Vergessen aber ist ein wichtiges Reputationsmerkmal. “Die Zeit heilt alle Wunden” ist kein leeres Wort, sondern mit etwas Abstand geraten die meisten Dinge in Vergessenheit oder werden weniger schlimm. Im Internet sind sie verfügbar wie am ersten Tag.
Ein weiteres oft verkanntes Problem ist, dass Bilder im Detail und Informationen im Wortlaut verfügbar sind. So kann sich auch später noch ein Detail oder eine Interpretation finden lassen, die unerwartet negative Auswirkungen hat. Das Interview von Horst Köhler, das letztlich zu seinem Rücktritt geführt hat, ist ein gutes Beispiel für eine Deutung, die erst Tage später erkannt wurde, eben weil die Information im Wortlaut analysiert werden konnte.

Das zweite Problem betrifft die Reichweite. Zum einen ist jeder Internetteilnehmer im Visier der Datensammler. Eine unbedacht veröffentlichte Email-Adresse, die von einem Spamnetzwerk gelesen wird, zieht schnell tausende von unerwünschten Werbebotschaften nach sich. Hier ergibt sich der Nachteil direkt und praktisch und nur lernresistente Menschen werden dauerhaft ihre Emailadresse bedenkenlos preisgeben und in den dann folgenden Spamnachrichten Gelder auf andere Konten überweisen oder den gefälschten angeblichen Seiten der Hausbank folgen. Aber auch solche Menschen gibt es und schon allein wegen der immensen Anzahl der Internetnutzer nicht zu wenige.
Des weiteren macht man seine Daten jedoch auch jedem anderen öffentlich. Für jeden Arbeitgeber und jeden Nachbarn bietet das Internet eine Fundgrube von persönlichen Daten, wenn er gezielt nach einem Namen sucht. Wenn er nur genügend Interesse und Arbeitsaufwand betreibt, stehen diesen alle Informationen zur Verfügung, die eigentlich im Vertrauen kundgetan wurden.

Ausblick

In Anbetracht der bisherigen Entwicklung gehe ich davon aus, das der Umgang mit persönlichen Daten weiterhin immer offener praktiziert wird. Viel zu praktisch und verlockend sind die Möglichkeiten, die das virtuelle Netz bietet. Ein Datenschutz steht jedoch diesem offenen Vertrauensnetz naturgemäß entgegen. Eine Reduzierung der Kontaktdaten auf “bekannte Freunde”, wie sie in einem ersten Umdenken geschehen ist, wird allerdings zunächst einmal der status quo bleiben. Zum einen haben die meisten erkannt, dass sie zumindest nicht alle Informationen jedermann zugänglich machen wollen. Zum anderen sind die bisherigen eigenen Vertrauensnetzwerke realistisch betrachtet für die meisten bereits viel zu groß, um alle diese virtuellen Freunde beachten zu können. Jedoch birgt auch diese Restriktion bereits das Risiko von Datenlecks oder von anonymen Nutzern, die sich Vertrauen ungerechtfertigt erschleichen. Zum anderen ist dieses immerhin erreichte Sicherheitslevel wiederum ein Hinderungsgrund, Zugriff auf neue Kontaktkreise zu erhalten und wird darum in Zukunft Stück für Stück aufweichen.

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