Chip im Ball

Bereits vor dem legendären Wembleytor gab es immer wieder Fehlentscheidungen darüber, ob ein Fußball eine weiße Linie in vollen Umfang überquert hat. Dies führte stets zu Diskussionen auf allen Plätzen der Welt über den Optiker des Schiedsrichters und den Aufenthaltsort seines Fahrzeugs. Insbesondere, wenn es sich bei der weißen Linie um die Torlinie handelt und das Spiel von zumindest nationaler Bedeutung war, wie zuletzt beim Spiel des Hamburger Sportvereins gegen den 1.FSV Mainz 05, dann werden manche Rufe nach technischer Kontrolle laut.

Ein in den Ball eingebauter Chip soll dem Schiedsrichtergespann per Funksignal übermitteln, ob er die Torlinie überschritten hat oder nicht. Wenn wir mal die Zuverlässigkeit dieser Technik unterstellen, wären also zukünftig derartige Fehlentscheidungen ausgeschlossen. Aber der Chip im Ball wäre dann erst der Anfang, denn Bälle, die eine Linie überqueren oder nicht, sind eher seltene Anlässe für Diskusionen und Fehlentscheidungen. Viel häufiger geht es um Abseitsstellungen (hier könnte man natürlich den “Chip im Spieler” einführen), Handspiele und Foulspiele.

Die letzten beiden Probleme hat gerade Benedikt Höwedes im Zuge einer doppelten Fehlentscheidung am eigenen Leib erfahren müssen: erst wurde er ungeahndet gefoult, denn im gleichen Spielzug fehlerhaft ein Handspiel von ihm geahndet. Die Folge: Platzverweis, Elfmeter, sein Verein Schalke 04 verliert mit 1:0 gegen den VfB Stuttgart. Auch, wenn Chips immer billiger werden, hätte dies wohl einigen Aufwand gekostet, das per Chip zu erkennen.

Einige fordern darum zusätzlich zugleich auch noch den Videobeweis, wie es ihn etwa beim Eishockey gibt. Spielstopp. Die Schiedsrichter schauen sich die fragliche Szene als Videoaufzeichnung an und entscheiden dann (hier wäre auch eine gute Gelegenheit, endlich mal Werbung während eines laufenden Fußballspiels einzublenden).

Ich will sie beide nicht. Nicht den Chip und keine Videoanalyse. Zum einen hat das pragmatische Gründe, denn die Kosten wären viel zu hoch. Vielleicht nicht für die erste Liga, aber spätestens für die fünfte Liga, in der jeder Vorstadtclub sich diese Gadgets auch alle anschaffen müsste. Oder der Fußball in den unteren Ligen, der Fußball der Millionen Freizeitkicker wäre ein völlig anderer als ihn die Profis spielen. Volkssport ade.

Und der zweite Grund ist: es ist gut wie es ist. Es gibt Fehlentscheidungen und schlechte Schiedsrichterleistungen, doch die gehören für mich zum Spiel wie ein formschwacher Toptorjäger und ein Grippeerkrankter Abwehrchef, die genauso über Sieg und Niederlage entscheiden können. Fußball lebt auch von diesen kleinen Abweichungen, die ein Spiel beeinflussen können und über die man sich herrlich aufregen kann und die lange Diskussionsstoff bieten. Auf lange Sicht und am Ende werden sich alle Fehler herausmitteln und es geht wieder gerecht zu.

Eine Liebeskomödie ohne Fehltritte und Verwechselungen funktioniert einfach nicht. Fussball mit elektronischer Überwachung auch nicht. Es ist eine klinische Veranstaltung, die mich nicht mehr so sehr interessiert. Und außerdem mal ehrlich: wer würde Autorennen schauen, wenn man die ungeliebten Unfälle verbieten würde. Wer würde festlegen, dass jeder Politiker und jeder Verantwortsträger wirklich aus gerechten Gründen an seinem Posten ist. Die Welt lebt von kleinen Ungerechtigkeiten. Die großen sollte man dagegen hart bekämpfen, allerdings: beim Fußball findet man sie nicht.

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