Poetry Slam ist nicht / kein(e)

Es ist schön, dass der Poetry Slam immer mehr ins öffentliche Bewusstsein geraten ist und dass auch vermehrt Journalisten, Blogger und Forumsteilnehmer versuchen, ihre Erfahrungen und Ansichten dazu zu äußern. Allerdings führt dieses Bemühen oft zu einer falschen Darstellung, die man am besten widerlegen kann, wenn man selbst einmal zu einem Poetry Slam geht. Poetry Slams finden regelmäßig in beinahe jeder Stadt in Deutschland und auch in Österreich und der Schweiz statt. Auch wenn jede Kulturform ihre eigenen Sprachregelungen mit sich bringt, die man nicht alle kennen muss, um sich mit etwas zu beschäftigen, sollte man aber zumindest die grundsätzlichen Begriffe kennen. Nicht notwendig als Ausweis einer Szenekenntnis, sondern um eine verfälschende Darstellung zu vermeiden. Als kleine Hilfestellung darum hier einige häufige Fehlannahmen, die ich häufig in Blogbeiträgen und Pressetexten lese.

1. Poetry Slam ist keine Literaturform

Ein Poetryslam ist ein Veranstaltungsformat, auf dem Texte vorgetragen werden. Für die Texte gilt üblicherweise eine Zeitbegrenzung, aber keine Begrenzung zu Inhalt oder Form. Bestenfalls könnte man sagen, dass sich einige Poetry Slam-Stilarten entdecken lassen. Allerdings ist es wenig verwunderlich, das man Gemeinsamkeiten zwischen einigen von Tausenden von Texten herstellen kann. Wenn man “Poetry Slam-Texte” mit Gewalt in irgendeiner Form als Genre definieren will, ergibt eine Gemeinsamkeit der meisten Poetry Slam-Texte dadurch, dass sie auf einen kurzen Zeitrahmen ausgerichtet sind, in dem sie eine hohe Spannungsdichte erzeugen sollen.

2. Poetry Slam ist kein Text

Immer wieder heißt es, dass irgendein “Slam” besonders gut geschrieben oder vorgetragen sei oder dass man selber nach einem Thema für einen guten Slam sucht, den man verfassen möchte. Was man meint ist ein Poetry Slam-Text, also ein Text, der auf einer Veranstaltung namens Poetry Slam (den man szenetypisch korrekt zumeist kurz als “Slam” bezeichnet) vorgetragen wird. Wer einen “Slam” vorträgt würde also eine ganze Veranstaltung von der Anmoderation bis zum Siegerapplaus vortragen, was wohl in den seltesten Fällen gemeint sein wird. Der Fehler mag auf den ersten Blick nur ein kleinliches Wording sein, das man als Außenstehender nicht so genau nehmen muss. Allerdings liegt hier implizit ein anderes Missverständnis vor. Ein Poetry Slam ist ein übergeordnetes Gebilde, das nur durch die Gesamtheit aller Texte und Mitwirkenden entstehen kann. Anders als bei einer Autorenlesung geht es beim Poetry Slam eben nicht um einzelne Personen oder um einzelne Texte, sondern um Vielfalt und Abwechselung.

3. Poetry Slam ist nicht Julia Engelmann

Julia Engelmann ist eine Poetry Slammerin, die sehr bekannt geworden ist und vielen Leuten gefallen hat. Abgesehen davon, dass Julia Engelmann keine Veranstaltungsform ist, gibt es im deutschsprachigen Raum Tausende weitere Poetry Slammer, die je nach persönlichem Geschmack mindestens ebenso gute Texte vortragen. Das Gleichsetzen einer Person mit Poetry Slam ist in etwa so sinnvoll als wenn man sagt “Cristiano Ronaldo ist Fussball” oder “Angela Merkel ist Deutschland”.

4. Poetry Slam ist nicht Poetry

Auf einem Poetry Slam werden nicht nur Gedichte vorgetragen. Tatsächlich sind die in Deutschland vorgetragenen Texte in überwiegender Zahl Prosatexte. Allerdings ist dieser Fehler recht naheliegend, weil der Name Poetry Slam in der Tat irreführend ist. Im Prinzip ist der Name seiner historischen Entwicklung geschuldet und der Tatsache, dass sich Poetry Slam in Deutschland, nicht zuletzt auch durch den Einfluss der Lesebühnen, zu einem Format entwickelt hat, in das sich Prosatexte gut einfügen.

5. Poetry Slam ist nicht Comedy

Erfahrenere Poetry Slam Besucher hingegen berichten zuweilen davon, dass Poetry Slam ein Comedyformat sei, auf dem allein lustige Geschichten vorgetragen werden. Zwar werden in der Tat viele komische Geschichten auf Poetry Slams vorgetragen und man kann auch beobachten, dass diese häufig gut beim Publikum ankommen und erfolgreich sind, aber ein Poetry Slam bleibt weiterhin eine Veranstaltungsform, auf der jeder vortragen kann, was er möchte. Gute ernste oder lyrische Texte sind ebenso wichtig und erfolgreich wie gute lustige Texte. Der Poetry Slam lebt von der Mischung. Nach meiner persönlichen Meinung kommt außerdem dazu, dass lustige Poetry Slam-Texte in meinen Augen zumeist nicht nur mehr Tiefgang aufweisen, sondern auch lustiger sind als das was man üblicherweise als Comedy bezeichnet.

Fazit (tldr;)

Ein Poetry Slam ist eine Veranstaltungsform auf der eine Vielzahl von Personen eine Vielzahl unterschiedlicher Texte vorträgt. Die Faszination des Poetry Slam entsteht aus dem Zusammenwirken dieser Komponenten mit dem Publikum.

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